Buchmacher wie Pinnacle haben es anerkanntermaßen nicht leicht. Aber was ist so schwierig daran, Buchmacher zu sein? Kann es helfen, die Dinge aus Sicht eines Buchmachers zu betrachten, um zu verstehen, wie gut man sein muss, um bei Sportwetten zu gewinnen? Lesen Sie weiter, um mehr zu erfahren.
Während dieser monatelangen Sportflaute habe ich mich gefragt, ob man messen kann, wie gut Wettende sein müssen, um den Buchmacher zu schlagen. Ich spreche wie immer nicht von Glückstreffern, sondern langfristigen Gewinnerwartungen nach dem Prinzip des Value Betting.
Klar ist, dass wir dafür über die Buchmacher-Marge kommen müssen. Dass dies nur so wenigen Wettenden gelingt, zeigt, wie schwierig es ist – selbst bei Margen von nur 2 %.
Wer meine Artikel liest oder mir auf Twitter folgt, kennt meine Excel-Tools zur Messung der statistischen Wahrscheinlichkeiten eines profitablen Erwartungswerts und der Verteilung dieser Leistungen, von der man unter gewissen Wett- und Einsatzannahmen ausgehen kann.
Diesmal will ich mir ansehen, wie es sich aus Sicht der Unsicherheit verhält, „besser als der Buchmacher“ zu sein. Wetten ist bekanntlich selbst für die besten Prognostiker ein unsicheres Geschäft. Um wie viel geringer muss unsere Unsicherheit sein, um über die Marge zu kommen und auf lange Sicht zu den Gewinnern zu gehören?
Versucht man, es ihm gleichzutun, zeigt sich, wie gut der Buchmacher wirklich ist und warum er gut sein muss, um profitabel zu bleiben. Das ist die Asymmetrie des Buchmachens.
Zwei Arten von Unsicherheit
In meinen letzten beiden Artikeln für Pinnacle ging es um zwei Arten von Unsicherheit. Zum einen gibt es aleatorische oder statistische Unsicherheit. Dies bezeichnet die inhärente Unsicherheit aufgrund probabilistischer Variabilität. Vorgänge wie das Werfen einer Münze liefern nach vielen Wiederholungen durch leicht veränderte Ausgangsbedingungen unterschiedliche Ergebnisse. Diese Unterschiede bleiben unbekannt. Die aleatorische Unsicherheit ist irreduzibel.
Der Laplacesche Dämon mag wie manch andere behaupten, dass dies schlicht die Folge begrenzter Informationen und Rechenleistung ist. Wären die Ausgangsbedingungen restlos bekannt, könnten wir die Ergebnisse wohl mit Sicherheit genau voraussagen.
In der Praxis macht die Komplexität dieser Systeme die Informationsbeschaffung zu einem Ding der Unmöglichkeit. Da die Wirklichkeit im Kleinen eher probabilistisch als deterministisch ist, bereitet die Aufgabe auch in der Theorie unüberwindbare Schwierigkeiten.
Setzt der Buchmacher die tatsächlichen Chancen in seiner Bewertung falsch an, so gilt dies wahrscheinlich auch für den Wettenden und umgekehrt. Manche Wettenden können auch teilweise an den Preis des Buchmachers gebunden sein.
Genau deshalb ist es sinnvoll, bei Ergebnissen von „wahren“ Wahrscheinlichkeiten zu sprechen, statt zu glauben, diese seien entweder auf 0 % oder 100 % festgelegt. Anders als beim Münzwurf und Würfeln sind und bleiben die „wahren“ Wahrscheinlichkeiten im Sport unbekannt (daher die Anführungszeichen). Sie als real anzunehmen, macht aber trotzdem Sinn.
Die zweite Art von Unsicherheit ist die epistemische oder modellbedingte Unsicherheit, die sich daraus ergibt, dass man nicht genau weiß, was man zu modellieren versucht. Die epistemische Unsicherheit ist durch erweiterte Modellkenntnisse reduzierbar.
Die Quantifizierung von Unsicherheit soll epistemische auf aleatorische Unsicherheiten reduzieren, obwohl die Systemkomplexität und der probabilistische Realitätskern die Grenze zwischen beiden womöglich verschwimmen lässt.
Der Gastautor @PlusEVAnalytics hat in seinem brillanten Pinnacle-Artikel Toward a Theory of Everything die aleatorische und epistemische Unsicherheit jeweils als Prozess- und Parameterunsicherheit beschrieben. Der Unterschied dürfte anhand seines Beispiels klar werden.
„Angenommen Sie geben einer Fußballmannschaft eine 60-%ige Gewinnchance und wetten bei 50–50 auf Sie und verlieren. Warum haben Sie Ihre Wette verloren? Vielleicht lagen Sie richtig, hatten aber Pech: Das 40 % Ereignis ist eingetreten und Sie haben verloren. Das ist aleatorische bzw. Prozessunsicherheit: gute Wette, glückloses Ergebnis. Vielleicht täuschten Sie sich aber und die wahre Wahrscheinlichkeit lag bei 50 %, 30 % oder gar 1 %. Sie hielten eine Wette für gut, die eigentlich schlecht war. Das ist Parameterunsicherheit bzw. epistemische Unsicherheit. Da die wahre Wahrscheinlichkeit unbekannt ist, lassen sich Ihre (guten und schlechten) Ergebnisse kaum je entweder auf Prozess- oder Parameterunsicherheit zurückführen.“
Modellierung von Unsicherheit im Kontext von Wetten
Beim Wetten ist die aleatorische Unsicherheit für alle gleich. Bei einer Sportveranstaltung treten dieselben Ereignisse mit denselben Einflussgrößen ein. Die Geschichte ist für alle Wettenden gleich.
Die aleatorische Unsicherheit lässt sich einfach durch einen Zufallszahlengenerator nachbilden. Gegeben ist eine 50–50-Veranstaltung mit einer fairen Quote von 2,00. Unser Zufallsgenerator bildet die aleatorische Unsicherheit durch Ausgabe von Zahlen zwischen 0 und 1 nach. Unter 0,5 gewinnt die Wette und darüber verliert sie. Die Verteilung der siegreichen und verlorenen Wetten wäre dann binominal.
Die Modellierung der epistemischen Unsicherheit ist etwas komplizierter, denn wie ließe sich die Verteilung der daraus entstehenden Fehler darstellen? @PlusEVAnalytics verwendete für die Modellbildung eine Beta-Verteilung, da ich aber nicht so klug bin wie er, begnüge ich mich mit einer Normalverteilung. Ich nehme weiter an, dass das Zentrum der Verteilung in der wahren Ergebniswahrscheinlichkeit (siehe oben) liegt und sich die epistemischen Fehler symmetrisch darum verteilen. Im Fall systematischer Abweichungen wäre dies natürlich falsch.
Jedenfalls ist diese Annahme für den Buchmacher vielleicht nicht unlogisch, denn ich habe bereits gezeigt, dass die Wettquoten von Pinnacle zumindest in größeren Sportmärkten äußerst effizient sind. Das heißt, dass sie die Basiswerte der wahren Ergebniswahrscheinlichkeiten im Schnitt sehr genau wiedergeben, auch wenn im Einzelfall Fehler auftreten. Ob dies für Wettende gleichermaßen gilt, ist zweifelhaft.
Verteilung bei epistemischer Unsicherheit
Um die Wirkung der epistemischen Unsicherheit nachzubilden, habe ich 1.000 hypothetische Wetten mit einer tatsächlichen Gewinnchance von jeweils 50 % erstellt. Mein hypothetisches Prognosemodell weist einige epistemische Fehler bei der Einschätzung dieser tatsächlichen Gewinnchancen auf, deren Größe jeweils durch sechs verschiedene Standardabweichungen von 0 %, 1 %, % 2 %, % 3 %, % 4 % und 5 % definiert ist. Zum Beispiel werden bei einer Standardabweichung von 1 % knapp mehr als zwei Drittel der modellierten „wahren“ Gewinnchancen zwischen 49 % und 51 % und rund 95 % zwischen 48 % und 52 % liegen.
Bei größeren Standardabweichungen verbreitert sich die Verteilung dieser „wahren“ Gewinnchancen aus dem Prognosemodell (siehe folgendes Diagramm). Bei einer Standardabweichung von 0 % würden natürlich alle Gewinnchancen genau 50 % betragen, deshalb wird auf eine Darstellung verzichtet. Je breiter die Verteilung, desto größer die epistemische Unsicherheit.
Die Gewinnchancenverteilungen haben zwar alle einen Mittelwert von 50 % und damit ein effizientes Modell, das Diagramm zeigt aber eine klare Varianz in der epistemischen Unsicherheit.
Durch Umkehr der „wahren“ Gewinnchancen ergibt sich die Quotenverteilung. Da sich Gewinnchancen und implizite Quoten umgekehrt proportional zueinander verhalten, handelt es sich um eine logarithmische Normalverteilung.
In einer Stichprobe von 1.000 Wetten liegen die „wahren“ Quoten normalerweise je nach Standardabweichung zwischen 1,88 und 2,13 (1 %), 1,78 und 2,28 (2 %), 1,69 und 2,46 (3 %), 1,60 und 2,66 (4 %) und 1,52 und 2,89 (5 %).
Buchmacher gegen Wettende
Nun verwenden wir dieses Modell der epistemischen Unsicherheit bei den „wahren“ Quoten, um Buchmacher und Wettende in den Ring zu schicken. Der Buchmacher veröffentlicht für jede Wette eine seiner Ansicht nach wahre Quote, abzüglich 2,5 % Marge. Bei einem wahren Preis von 2,00 entspräche dies z. B. also 1,95. Diese Quoten verteilen sich entsprechend den Verteilungen von oben unterschiedlich über die 1.000 Wetten.
Der Wettende hat ein anderes Modell und schätzt damit seine „wahren“ Quoten. Falls die veröffentlichte Quoten des Buchmachers höher angesetzt ist als die des Wettenden, macht letzterer einen Einsatz von 1, sonst macht er keinen Einsatz.
Um die Wetten abzuwickeln, beträgt die tatsächliche Quote für jede Wette 2,00 (weder Buchmacher noch Wettendem bekannt). Das Ergebnis wird mit einem Zufallszahlengenerator ermittelt. Wie zuvor erklärt, ergeben sich Varianzen aus der aleatorischen Unsicherheit.
Die Veranstaltung wurde anhand einer Monte-Carlo-Simulation 10.000 Mal wiederholt. Betrachten wir zuerst die durchschnittliche Anzahl Wetten für jede der jeweils 36 Wertepaare für die epistemische Unsicherheit von Buchmacher und Wettenden. Je größer die epistemische Unsicherheit (in den Zeilen- und Spaltenüberschriften) für Wettenden oder Buchmacher ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Differenz der beiden Modelle größer als die Marge ist – d. h. die Wettwahrscheinlichkeit nimmt zu.
Liegen Buchmacher und Wettender genau richtig, sind Wetten unmöglich, denn der Buchmacher gibt dann immer 1,95 vor und der Wettende weiß immer, dass dies unter dem eigentlichen Preis liegt.
Die zweite Tabelle zeigt die durchschnittlichen (erwarteten) Erträge des Wettenden für jedes Unsicherheitspaar. Zur Erinnerung: Je kleiner die Standardabweichung, desto kleiner ist die epistemische Unsicherheit und umso besser ist das Modell.
Liegt der Buchmacher genau richtig und sagt die Wahrscheinlichkeit jeder Wette perfekt voraus, dann verliert der Wettende einen Betrag in Höhe der Marge (-2,5 %), unabhängig davon, wie gut er ist. Diese Zahl variiert aufgrund der aleatorischen Unsicherheit leicht. Eine größere Monte-Carlo-Simulation würde diese Variabilität verringern.
Als Hinweis: Wäre das Modell des Wettenden besser (weniger unsicher) wie das des Buchmachers, würde dies reichen, um einen Gewinn zu erzielen. Aber noch etwas anderes wird interessanterweise deutlich. Wenn das Modell des Buchmachers schlecht ist, kann der Wettende auch dann noch einen erwarteten Gewinn realisieren, wenn sein Modell schlechter ist. Hat die epistemische Unsicherheit des Buchmachers z. B. eine Standardabweichung von 3 % bei der Gewinnchance, kann der Wettende immer noch +0,68 % Gewinn erwarten, wenn die Unsicherheit seines Modells eine Standardabweichung von 5 % hat. Dies scheint überhaupt keinen Sinn zu ergeben.
Die Asymmetrie des Buchmachens
Um diesen Widerspruch zu lösen, ist der Aufbau der Veranstaltung erneut zu betrachten. Wie auf jedem Wettmarkt macht der Buchmacher einen Preis. Der Wettende muss entscheiden, ob er die Herausforderung annimmt und tut dies nur, wenn die veröffentlichten Quoten höher angesetzt sind wie seine schätzungsweise „wahren“ Quoten. Ist dies der Fall, so hat der Buchmacher keine Möglichkeit, aus der Wette auszusteigen.
Generell gilt für alle Modellszenarien: Bei epistemischer Unsicherheit werden 50 % der Fehler des Buchmachers „wahre“ Quoten vorhersagen, die jeweils zur Hälfte höher bzw. tiefer als die tatsächliche Quote (von 2,00) angesetzt sind. Auch 50 % der Fehler des Wettenden werden entweder über oder unter 2,00 liegen.
Was der Buchmacher wirklich für die „wahren“ Quoten seines Marktes hält, bleibt ein Geheimnis. Auch die tatsächlichen Quoten dieser Schätzungen bleiben den Wettenden verborgen.
Liegt die Quote des Buchmachers unter 2,00, kann die des Wettenden kaum noch tiefer angesetzt sein, was eine Wette auslöst. Umgekehrt steigt die Wettwahrscheinlichkeit, wenn der Buchmacher seine Quote zu hoch ansetzt.
Diese Asymmetrie führt dazu, dass der Anteil von Wetten mit positivem Erwartungswert größer ist wie jener mit negativem Erwartungswert. Je größer die epistemische Unsicherheit, desto größer die Asymmetrie. Haben Buchmacher und Wettender bei der Unsicherheit je 2 % Standardabweichung, so haben 56 % der Wetten einen positiven Erwartungswert und die Quoten einen Durchschnitt von 2,01. Steigt die Standardabweichung bei der Unsicherheit für beide auf 5 %, so werden 68 % der Wetten zu Quoten von über 2,00 und im Mittel bei 2,10 gespielt.
Rechnen wir ein Modell, bei der Back-Wettender und Lay-Wettender gegeneinander antreten und dabei die Quoten von Dritten akzeptieren, verschwindet diese Asymmetrie größtenteils. Sie treten dann beide auch gegen den Dritten und die epistemische Unsicherheit seines Modells an. Ist die epistemische Unsicherheit der Drittpartei klein, so verlieren Back- und Lay-Wettender bei unsichergleichen Modellen beide einen Betrag in Höhe der festgelegten Marge des Dritten.
Die reale Welt des Wettens
Der Dreh- und Angelpunkt ist eine große und wahrscheinlich unrealistische Annahme. Und zwar, dass die Modelle von Buchmacher und Wettendem völlig unabhängig voneinander sind. In der Wirklichkeit ist dies unwahrscheinlich, da Modellkonstrukteure tendenziell ähnliche Daten und ähnliche Prognosealgorithmen benutzen.
Setzt der Buchmacher die tatsächlichen Chancen in seiner Bewertung falsch an, so gilt dies wahrscheinlich auch für den Wettenden und umgekehrt. Manche Wettenden können auch teilweise an den Preis des Buchmachers gebunden sein.
Diese Modellkorrelationen reduzieren den Erwartungswert des Wettenden und erschweren seinen Erfolg.
Dieses Modell der epistemischen Unsicherheit gibt trotzdem Aufschluss darüber, wie gut ein normaler Buchmacher sein muss, um selbst mit Marge profitabel zu bleiben. Da Buchmacher aus angenommenen Wetten nicht mehr aussteigen können, müssen sie ihre epistemische Unsicherheit unbedingt möglichst klein halten.
Was der Buchmacher wirklich für die „wahren“ Quoten seines Marktes hält, bleibt ein Geheimnis. Auch die tatsächlichen Quoten dieser Schätzungen bleiben verborgen. Daher lässt sich die epistemische Unsicherheit nicht genau ermitteln.
Eine gute Schätzung ist jedoch möglich, wenn man die Schlussquoten des Buchmachers (abzüglich der Marge) für die realen, eigentlichen Quoten nimmt. Die Differenz zwischen der Quote vor und nach dem Schließen liefert dann einen Wert für das Ausmaß des Modellfehlers.
Nimmt man eine Reihe von Pinnacle-Quoten für Über-/Unter-Wetten der englischen Fußballspiele dieser Saison nach Abzug von Marge und Standardisierung der Schlussquote auf 2,00, so liegt die angenommene Standardabweichung der Quoten vor dem Schließen bei der Gewinnchance knapp über 2 %. Dies bewegt sich im unteren Bereich meiner modellierten Standardabweichungen und zeigt erneut, dass die epistemische Unsicherheit von Pinnacle-Modellen ziemlich effektiv minimiert wird.
Um dies zu schlagen, muss der Wettende mindestens gleich gut sein, auch noch mit der Asymmetrie im Rücken. Wenn der epistemische Fehler in Konstellationen mit 50 % Gewinnchance nur 2 % beträgt, so gibt es für den Wettenden kaum Optimierungsmöglichkeiten. Bevor sie gegen Pinnacle wetten, können Wettende ihre Chancen natürlich durch die Anwendung von Erwartungswertschwellen erhöhen. Jegliche Modellkorrelationen erschweren die Sache allerdings.
Einmal mehr zeigt sich, dass es nicht leicht ist, Buchmacher wie Pinnacle zu schlagen. Und nun haben wir einen weiteren Grund dafür. Anders als ihre Kunden können sie sich ihre Wetten nicht aussuchen. Sie müssen jedes Mal den Kopf hinhalten und hoffen, dass sie es richtig gemacht haben. Für Pinnacle geht es in dem Spiel darum, die epistemische Unsicherheit zu minimieren und die Effizienz der Quoten zu maximieren.