Das „Risk of Ruin“-Konzept ist in der Finanz- und Investitionsbranche sehr bekannt, aber wie kann es auf Sportwetten angewendet werden? Warum sollten selbst erfolgreiche Wettende sich dieses Konzepts bewusst sein? Lesen Sie weiter, um mehr zu erfahren.
In seinem BuchSkin in the Game präsentiert Nassim Nicholas Taleb das folgende Gedankenexperiment, das ich sehr vorsichtig an unsere Bedürfnisse angepasst habe.
100 Menschen gehen in ein Casino. Jeder von ihnen spielt mit demselben festgelegten Betrag. Einige von ihnen werden verlieren, einige werden gewinnen, und wir können am Ende des Tages schlussfolgern, wo der Vorteil liegt, also die Auszahlungen berechnen, indem wir einfach das Geld zählen, das die Zurückkommenden noch bei sich haben. Somit können wir dann auch beurteilen, ob das Casino die Quoten korrekt festlegt. Nehmen wir nun an, dass der Spieler Nr. 28 sein gesamtes Guthaben verliert. Ist Spieler 29 davon betroffen? Nein.
Aus der Stichprobe können Sie zweifelsfrei errechnen, dass ungefähr 1 % der Spieler ihr gesamtes Guthaben verlieren. Und wenn Sie immer weiter spielen, dürfen Sie dasselbe Verhältnis erwarten: 1 % der Spieler gehen an diesem Tag leer aus.
Nehmen Sie nun stattdessen an, dass nur Sie an hundert Tagen hintereinander in das Casino gehen und immer mit einem festgelegten Betrag starten. An Tag 28 verlieren Sie Ihr gesamtes Guthaben. Gibt es einen Tag 29? Nein. Egal, wie viel Glück Sie haben, Sie können zweifelsfrei errechnen, dass Sie mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit im Endeffekt Ihr gesamtes Geld verlieren.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit, die für die Gruppe von Menschen gilt, trifft nicht auf Sie zu. Nennen wir die erste Wahrscheinlichkeit, bei der es um die Gruppe von Menschen geht, „Gruppenwahrscheinlichkeit“ und die zweite, bei der es um eine einzelne Person unter dem Aspekt der Zeit geht, „Zeitwahrscheinlichkeit“. Wenn Sie nun Blogs von Wettanalytikern oder Tippgebern lesen, die von erwarteten langfristigen Auszahlungen handeln, seien Sie vorsichtig. Selbst wenn deren Prognosen wahr wären, könnte niemand diese Auszahlungen erreichen, es sei denn, er hätte unbegrenzte Einsatzbeträge zur Verfügung. Hier verschmelzen die Gruppen- und die Zeitwahrscheinlichkeit. Wenn ein Wettender seine Einsätze aufgrund von Verlusten reduzieren muss, werden auch seine Auszahlungen von den theoretischen Gewinnerwartungen abweichen.
Es ist offensichtlich, dass Casino-Spieler, die ausschließlich auf Grundlage statistischer Algorithmen konzipierte Spiele spielen (z. B. Roulette und Craps), irgendwann unvermeidlich ihr ganzes Guthaben verlieren. Dasselbe gilt für unerfahrene Wettende, die schlussendlich an der Marge des Wettanbieters scheitern.
Das Wetten ist allerdings vom Casino-Spielen zu unterscheiden, da es eine theoretische Wahrscheinlichkeit gibt, dass Spieler Gewinn machen, vorausgesetzt, sie können besser die „wahren“ Ergebniswahrscheinlichkeiten bestimmen als diejenigen, die die Quoten festlegen.
Dennoch ist Talebs Gedankenexperiment in dieser Hinsicht nützlich: Es erinnert auch erfolgreiche Spieler an die Möglichkeit des Gesamtverlusts. Es kann sein, dass Sie immer wieder hervorragende Prognosen abgeben, aber wenn eine Pechsträhne Ihr Guthaben auffrisst, dann war es das. Dann gibt es keinen nächsten Tag.
Im Rest dieses Artikels möchte ich deshalb ein wenig Zeit dafür aufwenden, das Risiko des Gesamtverlusts eines erfolgreichen Wettenden zu untersuchen.
Woran erkennt man erfolgreiche Wettende?
Wetten ist eine Kombination aus Glück und Können. Woran erkennt man, wenn ein Wettender letzteres zeigt? Im letzten Jahr diskutierte ich die Verwendung eines statistischen Tests – desstudentischen t-Tests –, der uns bei der Beantwortung dieser Frage helfen könnte. Der Test ist so aufgebaut, dass er uns tatsächlich nicht direkt verrät, ob ein Wettender gute Prognosen macht und eine langfristige Gewinnerwartung erreicht.
Was er leistet, ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit einer Reihe von Gewinnen und Verlusten, die auftreten, wenn nichts anderes als der Zufall im Spiel ist. Wenn diese Wahrscheinlichkeit gering ist, wird es bei den Statistikern wohl zu einem Sinneswandel kommen, und sie werden annehmen, dass noch etwas anderes als der Zufall mitspielt. Typische Richtwerte in diesem Kontext sind 5 % und 1 %. Mit anderen Worten: Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wettresultat durch Zufall zustande gekommen ist, bei unter 1 % liegt, können wir argumentieren, dass der Wettende, der dieses Resultat erreicht, auch Können gezeigt haben muss.
Es gibt zahlreiche Probleme mit einer solch kühnen These, nicht zuletzt das des Survivorship-Bias: Wir sehen oft nur die besten Resultate, nicht die mittelmäßigen und nicht die Verluste. Wenn sich in einer Untersuchungsgruppe 100 Wettende befinden und der Beste von ihnen eine Gewinnhistorie von 1 in 100 aufweist, was sagt uns das wirklich? Leider bekommen wir nur selten die gesamte Gruppe zu sehen.
Dennoch nehme ich für diesen Artikel einmal an, dass ein Resultat von 1 in 100 davon zeugt, dass es sich um einen Wetter mit einigem Können handelt. Ob dies wirklich der Fall, ist vielleicht für das Folgende nicht so relevant. Da Wettende, die nur mit Glück operieren, einen Regress zur Mitte erleben werden, können die folgenden Daten als Best-Case-Szenarios betrachtet werden.
Die Wahrscheinlichkeit des Gesamtverlusts
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wettender in einer Reihe von Wetten sein gesamtes Guthaben verliert? Dies hängt von einigen Variablen ab, z. B., in welchem Maße die Erfolge des Wettenden auf Können (bzw. Glück) beruhen, wie lange er schon wettet, bei welchen Quoten und mit welchen Einsätzen er wettet. Je mehr Können der Wettende zeigt (bzw. je weniger Pech er hat), desto weniger wahrscheinlich ist der Verlust seines gesamten Guthabens. Dies erklärt sich von selbst.
Außerdem sollte uns bekannt sein, dass, je höher die Quoten sind, desto höher auch die Varianz in den Ergebnissen ist. Eine größere Varianz bedeutet auch einen breiteren Bereich von möglichen Gewinnen und Verlusten, höhere Risiken und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit des Gesamtverlusts, wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben. Und je höher die Einsätze im Verhältnis zum Guthaben sind, desto höher ist – nicht überraschend – die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pechsträhne das gesamte Guthaben hinwegfegt.
Wettende, die auf höhere Quoten wetten, verzeichnen also aufgrund der größeren Varianzen normalerweise höhere prozentuale Gewinne als diejenigen, die auf niedrigere Quoten wetten. Oder mit anderen Worten: Der gleiche Gewinn bei höheren Quoten hat mehr mit Glück zu tun als bei niedrigen. Aus diesem Grund werden bei Wetten auf Pferderennen (wo normalerweise auf hohe Quoten gewettet wird) größere Gewinne erzielt als bei Sportwetten (wo im Normalfall auf niedrige Quoten gewettet wird).
Selbstverständlich erleiden aus demselben Grund Wettende, die auf Pferderennen wetten, nicht so hohe Verluste aufgrund von Pech. Die folgende Tabelle zeigt die Gewinnerwartungen für erfolgreiche 1-in-100-Wettende, die 1.000 Einsätze bei verschiedenen Quoten platzieren – berechnet mithilfe meines t-Test-Rechners.
Das folgende Diagramm, erstellt auf Grundlage einer Monte-Carlo-Simulation mit 10.000 Durchgängen, zeigt, wie das Risiko des Gesamtverlusts für verschiedene 1-in-100-Wettende variiert, die bis zu 1.000 Wetten mit variierenden Quoten und Einsätzen abschließen. Es wird angenommen, dass der Wettende mit einem Guthaben von 100 startet und die Einsätze gleich bleiben.
Es überrascht nicht, dass hohe Einsätze das Risiko des Gesamtverlusts dramatisch erhöhen, insbesondere bei Wetten auf höhere Quoten. Nehmen wir an, Sie wetten gerne auf Außenseiter in Pferderennen mit Quoten von ca. 10. Obwohl die theoretische Gewinnerwartung bei über 24 % liegt, werden Sie in 60 % aller Fälle nicht bis zum 1000. Einsatz kommen, wenn Sie mit einem Guthaben von 100 starten und immer zehn Einheiten setzen. Naturgemäß werden dann die meisten Außenseiter-Wettenden sich entscheiden, die Höhe der Einsätze entsprechend zu senken, aber das bedeutet auch, dass sie weniger absoluten Gewinn machen.
Die Auswirkung des Gesamtverlust-Risikos auf den absoluten Gewinn.
Gehen wir von einem maximal akzeptablen Gesamtverlust-Risiko von 1 % aus. Für jemanden, der auf 10er-Quoten wettet, kann der Einsatz bei einem Startguthaben von 100 nicht mehr als eine Einheit betragen. Umgekehrt kann ein Wettender, der auf die viel niedrigere Quote von 1,25 wettet, den Einsatz von sechs Einheiten riskieren. Daraus folgt: Obwohl derjenige, der auf Außenseiter wettet, eine viel höhere Gewinnerwartung hat, streicht er am Ende genauso viel absoluten Gewinn ein wie derjenige, der auf hohe Favoriten setzt.
Ein weiteres Beispiel: Setzen wir das akzeptable Gesamtverlust-Risiko auf 20 %. Ein Wettender, der auf 5er-Quoten setzt, sollte fünf Einheiten setzen. Ein Wettender, der auf Quoten von ca. 1,5 setzt, kann dagegen 15 Einheiten riskieren. Der erste hat eine dreimal so hohe relative Gewinnerwartung wie der zweite. Deshalb haben beide ungefähr die gleiche absolute Gewinnerwartung.
Somit können wir zu einem eindeutigen Schluss kommen: Bei Wettenden mit ungefähr gleichem Können, die ein ungefähr gleiches Gesamtverlust-Risiko akzeptieren, ist es relativ egal, auf welche Quoten sie wetten. Die Bevorzugung hoher Quoten muss, da diese eine höhere prozentuale Gewinnerwartung bieten, durch Reduzierung der Einsätze ausgeglichen werden, wenn das erhöhte Gesamtverlust-Risiko verwaltet werden soll.
Der Einfluss des möglichen Gesamtverlusts auf die Gewinnerwartung
Taleb schloss seinem Gedankenexperiment zu Gruppen- und Zeitwahrscheinlichkeit mit einem Zitat von Warren Buffet ab:
„Um erfolgreich zu sein, musst Du zunächst überleben.”
Und ergänzte dies noch mit seiner eigenen Interpretation:
„Die Möglichkeit des Gesamtverlustes erlaubt keine Kosten-Nutzen-Analysen.”
Buffet und Taleb haben recht. Die Möglichkeit des Gesamtverlustes ändert die Berechnung der Gewinnerwartung. Wenn wir versuchen, eine erwartete Profitabilität zu schätzen, ignorieren wir dabei die Fälle, in denen unsere Wettreihe abgebrochen wird. Die geschätzte erwartete Profitabilität in der Tabelle oben geht von 1.000 Wetten aus. Es ist evident, dass nicht alle Wettreihen so lange dauern, wenn die Wahrscheinlichkeit des Gesamtverlusts nicht null ist.
Nehmen wir an, ein Wettender platziert Einsätze von 10 Einheiten auf 2er-Quoten. Bei 1.000 Wetten beträgt sein Gesamtverlust-Risiko 23 %. In meinen 10.000 Wettverlaufs-Simulationen gingen 95 % der Reihen, bei denen ein Gesamtverlust erlitten wurde, theoretisch weiter und zeigten eine durchschnittliche Rendite von 105,74 %. Aber in Wirklichkeit wären diese Gewinne nie erzielt worden, da es für den Wettenden, der alles verloren hat, keinen nächsten Tag gibt.
Wenn wir wirkliche Erwartungen so nah wie möglich an ihren theoretischen Pendants halten wollen, müssen wir das Gesamt-Risiko minimieren, also auf ein sehr niedriges Niveau senken. Die meisten ernsthaft Wettenden verstehen dies intuitiv, aber die Analysen in diesem Artikel untermauern dieses Verständnis hoffentlich noch.
Sehr klar ist, dass selbst erfolgreiche Wettende mit hohem Können die Wahrscheinlichkeit des Gesamtverlusts nur mit Einsätzen von ca. 1 % des Guthabens deutlich unter 1 % halten können, und bei höheren Quoten müssen die Einsätze gar noch geringer sein. Und wenn wir selbst über unser Gesamtverlust-Risiko nachdenken, wird deutlich, dass es kaum einen Unterschied macht, welche Quoten wir auswählen.