Einige Wettende schwören auf eine Strategie zur Geldverwaltung, bei der der Einsatz nach verlorenen Wetten schrittweise erhöht wird, um zuvor verlorenes Geld zurückzugewinnen.
Von den Verfechtern dieser Strategie wird sie als absolut sicher angesehen, mit der Begründung, dass man am Ende zwangsläufig gewinnen wird und wenn das geschieht, werden alle vorherigen Verluste zusammen mit dem anfangs avisierten Profit aus der ersten Wette zurück gewonnen.
Den Aufmerksamen unter euch wird bereits der Fehler aufgefallen sein: Im Glücksspiel geschieht nichts zwangsläufig. Wenn es so wäre, wäre es kein Glücksspiel. Einige Spieler ignorieren diesen Fehler aufgrund zweier heuristischer Befangenheiten: übermäßiges Selbstvertrauen (dass sie gewinnen werden) und Unterschätzen der Wahrscheinlichkeit einer Pechsträhne. Diese Art von Geldverwaltung im Glücksspiel wird traditionell als das Martingale-System bezeichnet.
Die Martingale-Strategie
Das Martingale-System stammt aus der Welt der Casinos, genauer gesagt aus dem Roulette-Spiel. Eine beliebte Wettmöglichkeit beim Roulette ist es, zu wetten, ob die Kugel nach der Drehung des Rouletterads auf einer schwarzen oder roten Zahl landen wird.
Lässt man den Bankvorteil außer Acht, ergibt sich für beide Ergebnisse eine Quote von jeweils 2,00. Die Idee hinter der grundlegenden Martingale-Strategie ist, den Einsatz nach jeder verlorenen Wette zu verdoppeln und nach jedem Gewinn zum Grundeinsatz zurückzukehren. Man kann die Strategie allerdings mithilfe der folgenden Gleichung auf jede Wettquote anwenden:
Martingale-Steigerungsrate = Quote / (Quote - 1)
Bei einer Wettquote von 3,00 wäre die Steigerungsrate der Einsatzhöhe beispielsweise 1,5.
Auf diese Weise werden vorherige Gewinne nach jedem erfolgreichen Ergebnis zurückgewonnen, wie folgende Reihe verdeutlicht:
Radergebnis | Wette | Einsatz | Ergebnis | Ergebnis | Gewinn | Gesamteinsatz |
1 | Rot | 1 | Schwarz | Verloren | -1 | -1 |
2 | Rot | 2 | Schwarz | Verloren | -2 | -3 |
3 | Rot | 4 | Schwarz | Verloren | -4 | -7 |
4 | Rot | 8 | Rot | Gewonnen | +8 | +1 |
5 | Rot | 1 | Schwarz | Verloren | -1 | 0 |
6 | Rot | 2 | Rot | Gewonnen | +2 | +2 |
7 | Rot | 1 | Rot | Gewonnen | +1 | +3 |
8 | Rot | 1 | Schwarz | Verloren | -1 | +2 |
9 | Rot | 2 | Schwarz | Verloren | -2 | 0 |
10 | Rot | 4 | Rot | Gewonnen | +4 | +4 |
Martingale verändert das Risiko, jedoch nicht die rechnerischen Erwartungswerte
In seinem E-Book „Successful Staking Strategies“ (2001) zeigt Stuart Holland anhand eines einfachen aber hervorragenden Beispiels, warum es auch mit dem Martingale-System nicht möglich ist, etwas aus dem Nichts zu schaffen.
Sieh dir die ersten drei Radergebnisse aus der oben gezeigten Reihe an. Die drei verlorenen Wetten auf Schwarz sind nur eines von acht möglichen Ergebnissen, die alle gleichwahrscheinlich sind.
Die folgende Tabelle zeigt den erwarteten Gewinn für jede dieser acht Kombinationen (R=Rot und S=Schwarz). Dabei wird der Einfluss des Bankvorteils (in Form der grünen Null) abgezogen. Um die Erwartung für ein Ergebnis zu berechnen, muss man lediglich den tatsächlichen Gewinn oder Verlust für das jeweilige Ergebnis mit der Wahrscheinlichkeit seines Vorkommens multiplizieren.
Kombination | Wette | Ergebnis | Einsatz | Gewinn | Gesamtergebnis | Wahrscheinlichkeit | Erwartung |
1 | R, R, R | S, S, S | 1, 2, 4 | -1, -2, -4 | -7 | 0.125 | -0.875 |
2 | R, R, R | S, S, R | 1, 2, 4 | -1, -2, +4 | +1 | 0.125 | +0.125 |
3 | R, R, R | S, R, S | 1, 2, 1 | -1, +2, -1 | 0 | 0.125 | 0 |
4 | R, R, R | S, R, R | 1, 2, 1 | -1, +2, +1 | +2 | 0.125 | +0.25 |
5 | R, R, R | R, S, S | 1, 1, 2 | +1, -1, -2 | -2 | 0.125 | -0,25 |
6 | R, R, R | R, S, R | 1, 1, 2 | +1, -1, +2 | +2 | 0.125 | +0.25 |
7 | R, R, R | R, R, S | 1, 1, 1 | +1, +1, -1 | +1 | 0.125 | +0.125 |
8 | R, R, R | R, R, R | 1, 1, 1 | +1, +1, +1 | +3 | 0.125 | +0.375 |
Wenn wir die Erwartungswerte der acht Kombinationen addieren, erhalten wir den Gesamterwartungswert für die Strategie. Er beträgt Null. Bei einem fairen Roulette-Spiel können wir deshalb langfristig maximal hoffen, unsere Kosten zu decken.
Doch Roulette-Spiele sind natürlich nicht fair: Jeder einzelne Einsatz auf Rot oder Schwarz im Casino hat einen negativen Erwartungswert, und folglich scheidet auch die Summe mehrerer Spiele durchschnittlich negativ ab.
Bei einer ähnlichen Analyse einer Strategie mit gleichbleibenden Einsätzen (bei der alle Einsätze genau gleich hoch sind) erhalten wir exakt dasselbe Ergebnis: Einen Gesamterwartungswert von Null.
Kombination | Wette | Ergebnis | Einsatz | Gewinn | Gesamtergebnis | Wahrscheinlichkeit | Erwartung |
1 | R, R, R | S, S, S | 1, 1, 1 | -1, -1, -1 | -3 | 0.125 | -0.375 |
2 | R, R, R | S, S, R | 1, 1, 1 | -1, -1, +1 | -1 | 0.125 | -0.125 |
3 | R, R, R | S, R, S | 1, 1, 1 | -1, +1, -1 | -1 | 0.125 | -0.125 |
4 | R, R, R | S, R, R | 1, 1, 1 | -1, +1, +1 | +1 | 0.125 | +0.125 |
5 | R, R, R | R, S, S | 1, 1, 1 | +1, -1, -1 | -1 | 0.125 | -0.125 |
6 | R, R, R | R, S, R | 1, 1, 1 | +1, -1, +1 | +1 | 0.125 | +0.125 |
7 | R, R, R | R, R, S | 1, 1, 1 | +1, +1, -1 | +1 | 0.125 | +0.125 |
8 | R, R, R | R, R, R | 1, 1, 1 | +1, +1, +1 | +3 | 0.125 | +0.375 |
Wirf einen genaueren Blick auf die beiden Tabellen. Durch die Martingale-Strategie wird die Anzahl der einzelnen Spiele, in denen wir einen Gewinn erwarten können, im Vergleich zur Strategie mit gleichbleibenden Einsätzen erhöht: in diesem Beispiel von 4 auf 5.
Leider erfolgt dies auf Kosten eines teuren verlorenen Spiels. Alles was wir durch die Martingale-Strategie erreichen, ist eine Veränderung in der Risikoverteilung. Wir erkaufen uns also ein zusätzliches Ergebnis mit positiver Gewinnerwartung für ein Spiel mit einer wesentlich höheren negativen Erwartung im Vergleich zu dem entsprechenden Ergebnis bei gleichbleibenden Einsätzen. Darin liegt die systemimmanente Gefahr dieser Strategie.
Anwendung der Martingale-Strategie
Bei Sportwetten könnte man glauben, dass das Martingale-System den Wettenden die Möglichkeit bietet, trotz eines negativen Erwartungswerts einen Gewinn zu machen, da sie schließlich jeden Verlust plus einen kleinen Extrabetrag zurückgewinnen.
Wir hoffen jedoch, dich mit der obigen Analyse überzeugt zu haben, dass die Martingale-Steigerung rechnerische Fehler enthält und zudem äußerst riskant ist, da eine längere Phase von verlorenen Wetten die Einsätze schnell in die Höhe schießen lässt. Nach zehn verlorenen Einsätzen bei gleichen Chancen muss man mit dem 11. Einsatz beispielsweise bereits 1.024 Einheiten setzen, um 1 Einheit zu gewinnen.
Je nach der anfänglichen Einsatzhöhe kann dieser Betrag über dem erlaubten Limit des Buchmachers liegen. Gleichermaßen kann er die Höhe deines verbleibenden Guthabens überschreiten.
Die Wahrscheinlichkeit von Pechsträhnen sollte man nicht unterschätzen
Wie wahrscheinlich ist es, bei 50/50-Wetten zehnmal in Folge zu verlieren? Die Berechnung ist einfach. Wenn jede einzelne Wette eine Verlustwahrscheinlichkeit von 50 % (oder 0,5) hat, ist die Wahrscheinlichkeit von 10 aufeinanderfolgenden Verlusten bei 0,510 = 0,0977%.
Diese niedrige Wahrscheinlichkeit verführt viele Wettende dazu, zu glauben, dass das Martingale-System eine relativ sichere Strategie sei. Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Pechsträhne im Verlauf einer wesentlich größeren Anzahl an Wetten?
Diese Berechnung ist wesentlich schwieriger, jedoch können wir intuitiv verstehen, dass sie sehr viel größer ist als der genannte Prozentsatz für eine einzelne Strähne, da die Anzahl an Möglichkeiten, dass es passiert, viel höher ist. Glücklicherweise gibt eine sehr nützliche Weise, die längste Pechsträhne, die wir im Verlauf einer langen Reihe von Wetten erwarten können, zu berechnen.
S_L=(Ln(N))/(Ln(O_L))
S_L ist die Länge der erwarteten maximalen Pechsträhne, N ist die Gesamtzahl an platzierten Wetten, Ln ist der natürliche Logarithmus (auf jedem wissenschaftlichen Rechner zu finden) und O_L ist die Wahrscheinlichkeit, eine einzelne Wette zu verlieren, die auf Grundlage der Wettquote oder Gewinnwahrscheinlichkeit O_W berechnet werden kann:
O_L=O_W/(O_W-1)
In 1.000 aufeinanderfolgenden Wetten zu einer fairen Quote von 2,00 würden wir also normalerweise erwarten, dass es mindestens eine Serie mit 10 hintereinander verlorenen Wetten gibt. Wie wir bereits besprochen haben, bedeutet eine derartige Serie, dass der nächste Einsatz 1.024 Mal höher sein muss als der erste.
Um eine dermaßen teure erwartete Pechsträhne auffangen zu können, müssen die Höhe deines Guthabens und deines relativen Grundeinsatzes angemessen berechnet werden. Je länger die Reihe an Wetten, desto niedriger muss der Grundeinsatz im Verhältnis zu deinem Guthaben sein, um das Worst-Case-Szenario zu verkraften.
Bei 1.000 1:1-Wetten sollte dein Guthaben wahrscheinlich 1.000 Mal höher sein als dein Grundeinsatz. Das bedeutet, dass entweder der Grundeinsatz (und damit der Gewinn nach einer gewonnenen Wette) so niedrig ist, dass sich die Strategie kaum lohnen dürfte, oder dass man das Risiko eingeht, sehr große Geldsummen zu verlieren.
Bankrottrisiko
In meinem Buch „Fixed Odds Sports Betting: Statistical Forecasting and Risk Management“ (2003) habe ich die Martingale-Strategie in einer realen Wettreihe aus 250 Wetten mit einer durchschnittlichen individuellen Gewinnerwartung von 0,5 (d.h. Quoten von 2,00) getestet.
Mit einem Grundeinsatz von 1 % des anfänglichen Guthabens lag die Wahrscheinlichkeit, pleite zu gehen, bei 53 % (faire Quoten vorausgesetzt). Bei einer entsprechenden Strategie mit gleichbleibenden Einsätzen betrug diese Wahrscheinlichkeit nahezu 0 %. In einem Szenario, in dem der Buchmacher einen Vorteil von 5 % bzw. 10 % gegenüber dem Wettenden behielt, erhöhte sich das Bankrottrisiko mit der Martingale-Strategie auf 65 % bzw. 78 %.
Selbst in Szenarien, in denen der Wettende einen Vorteil hatte, blieb ein erhebliches Risiko bestehen. Bei einem Vorteil von 5 % lag es immer noch bei 38 %. Dabei stellt sich allerdings die Frage, warum Wettende, die sich durch ihre Fähigkeit, richtige Ergebnisse vorherzusagen, einen Vorteil verschafft haben, überhaupt Verlusten hinterher jagen müssten.
Eine Illusion
Theoretisch wäre das Martingale-System mit unbegrenzten Geldmitteln, einer unbegrenzten Anzahl an Wetten, unbegrenzter Zeit und einem unbegrenzt entgegenkommenden Buchmacher wahrscheinlich eine gewinnbringende Strategie.
Das Problem dabei ist, dass man keine unbegrenzten Geldmittel zur Verfügung hat, und selbst wenn, warum sollte man dann versuchen sie weiter zu erhöhen? In der echten Welt des Glücksspiels und der Wetten ist das Ergebnis folgendes: Wenn du nicht gut genug bist, die Quoten zu schlagen, ist das Martingale-System ein sicherer Weg in den finanziellen Ruin. Und wenn du gut genug bist, brauchst du diese Strategie ohnehin nicht.
Die scheinbare Fähigkeit des Martingale-Systems, Verluste in Gewinne zu verwandeln, ist ganz einfach eine Illusion und zwar eine sehr riskante.
Joseph Buchdahl ist ein Analyst für Wetten, der die Website Football-Data.co.uk verwaltet, und historische Ergebnisse, Spielstatistiken und Daten zu Wettquoten bereit stellt. Er ist auch der Autor von Fixed Odds Sports Betting: Statistical Forecasting & Risk Management (2003), How to Find a Black Cat in a Coal Cellar: The Truth about Sports Tipsters (2013) und Squares & Sharps, Suckers & Sharks: The Science, Psychology & Philosophy of Gambling (bevorstehende Veröffentlichung 2016).