Das Kelly-Kriterium sorgt unter Wettenden häufig für heiße Diskussionen. Pinnacle hat zu diesem Thema bereits mehrere Artikel von einfachen Erläuterungen bis hin zu komplexen Analysen veröffentlicht. Wie funktioniert eine anteilbasierte Herangehensweise an das Kelly-Kriterium und ist sie die beste Option für professionelle Wettende? Lesen Sie weiter, um mehr zu erfahren.
In meinem Artikel vom letzten Monat habe ich mich mit dem Kelly-Kriterium als System für die Guthaben-Verwaltung beschäftigt. Wie bekannt sein dürfte, empfiehlt Kelly Einsätze proportional zur Gewinnwahrscheinlichkeit und dem angenommenen Vorteil gegenüber den Buchmacher-Quoten.
Ich kam zu dem relativ überraschenden Ergebnis, dass es für das Kelly-Kriterium unerheblich ist, wenn der exakte Vorteil nicht bekannt ist, solange der durchschnittliche Wert präzise ist. Gleichzeitig wurde klar, dass Joe Peta bei seiner Aussage Recht hatte, das Problem bei der Verwendung des Kelly-Kriteriums sei, dass die Varianz, unabhängig von der berechneten erwarteten Rendite, riesig sei, weswegen er eine Investition nicht für empfehlenswert hält.
In diesem ergänzenden Artikel werde ich untersuchen, wie wir diese Varianzrisiken reduzieren können und welche Auswirkungen dies auf die erwartete Profitabilität hat.
Das Problem mit dem Kelly-Gesamtbetrag
Es wurde schon häufig darauf hingewiesen, dass ein großes Problem beim Kelly-Kriterium darin besteht, dass das Guthaben-Wachstum sehr wechselhaft ist. Dabei werden Gewinne von gelegentlich bedeutenden Verlusten unterbrochen. In anderen Worten: Die Entwicklung des Guthabens ist schwankend.
Angesichts der Art der Berechnung des Kelly-Einsatzbetrags (Chance – 1 : Quote – 1) kommt es zu plötzlichen und großen Verlusten, wenn eine Wette auf eine knappe Quote, der wir einen hohen positiven Erwartungswert einräumen, verliert.
- Lesen Sie: So berechnen Sie den Erwartungswert
Eine aktuelle Begegnung in der Ligue 1 liefert uns ein Beispiel hierfür. Bei einem anderen Buchmacher lag die Quote für einen Sieg von PSG gegen Caen bei 1,35, während sie bei Pinnacle 1,20 betrug. Nach Abzug der Marge bedeutete dies einen erwarteten Vorteil von 11,5 % (davon ausgehend, dass der Markt bei Pinnacle der präziseste ist) und einen Kelly-Einsatz-Prozentwert von 32,8 %.
Die Begegnung zwischen PSG und Caen endete unentschieden, wodurch Sie mit nur einer Wette beinahe ein Drittel Ihres Kelly-Guthabens verloren hätten. Verständlicherweise sind Verluste dieser Art für die meisten Wettenden inakzeptabel, auch wenn es andere Möglichkeiten gibt, das Guthaben um einen ähnlichen Betrag ansteigen zu lassen.
Der Schmerz von Verlusten wiegt schwerer als die Freude bei Gewinnen
Für die meisten Menschen, auch wenn sie noch so risikofreudig sind, ist ein Verlust in dieser Größenordnung deutlich schmerzhafter als ein Gewinn in einer ähnlichen Größenordnung. In seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken erläutert Daniel Kahneman dies anhand eines einfachen Gedankenexperiments.
A) Sie erhalten €1.000 zusätzlich zu Ihrem vorhandenen Vermögen. Jetzt werden Sie gebeten, zwischen einer von zwei Optionen zu wählen:
1) Sie haben eine 50%ige Chance auf den Gewinn von €1.000
2) Sie erhalten €500 sicher
B) Sie erhalten €2.000 zusätzlich zu Ihrem vorhandenen Vermögen. Jetzt werden Sie gebeten, zwischen einer von zwei Optionen zu wählen:
1) Sie haben eine 50%ige Chance auf den Verlust von €1.000
2) Sie verlieren €500 sicher
Hinsichtlich des absoluten Vermögens ist das Ergebnis bei Situation A und B identisch. Wenn Sie bei A oder B die sichere Wahl treffen, haben Sie am Ende jeweils €1.500 (zusätzlich zu Ihrem vorhandenen Vermögen). Wenn Sie sich entscheiden zu spielen, haben Sie am Ende abhängig vom Resultat €2.000 oder €1.000. Welche Wahl haben Sie getroffen?
Als Kahneman und sein Kollege Amos Tversky mit diesem Beispiel experimentierten, stellten sie fest, dass die Mehrheit der Teilnehmer die Risikoaversion vorzog (also die sichere Wahl traf), wenn es in Beispiel A um einen Gewinn ging, mit der Aussicht auf einen Verlust in Beispiel B wählen sie jedoch die Risikovariante (und beschlossen zu spielen).
Gleichwertige Optionen bei demselben Entscheidungsfindungsprozess sollten zu ähnlichen Resultaten führen. Da dies in diesem Beispiel nicht der Fall war, verhielten sich die Teilnehmer offensichtlich nicht rational. Die Erklärung hierfür ist, dass die Ausgangs- bzw. Referenzpunkte bei Situation A und B unterschiedlich sind.
In Situation A war dies vorhandenes Vermögen + €1.000; in Situation B vorhandenes Vermögen + €2.000. Kahneman zufolge achten nur wenige von uns auf diese Referenzpunkte, unsere Einstellung gegenüber Gewinnen und Verlusten wird nicht von der Einschätzung des absoluten Vermögensstatus abgeleitet, sondern vielmehr von einem relativen Status. Und hinsichtlich des Nutzens von Gewinn und Verlust verabscheuen wir den Verlust mehr, als wir den Gewinn lieben.
Würden Sie eine faire 1:1-Wette akzeptieren, mit der Sie im Gewinnfall Ihr Guthaben um ein Drittel steigern können, es im Verlustfall aber um ein Drittel reduzieren würden? Wenn Sie dies nicht tun würden – wie vermutlich die meisten von uns – zeigen Sie Verlustaversion. Wie hoch müsste die Gewinnwahrscheinlichkeit sein, damit Sie Ihre Meinung ändern würden? 60 %? 70 %? 95 %? Noch höher?
Eine evolutionsbasierte Erläuterung der Verlustaversion
Aus evolutionärer Sicht ist es nicht überraschend, dass uns Verluste stärker motivieren als Gewinne. Wie Kahneman erläutert hat, haben Lebewesen, die Gefahren als dringlicher einschätzen als Chancen, eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu überleben und sich fortzupflanzen.
Da wir die Gewinner der Evolution sind (schließlich sind wir hier), bedeutet dies zwingend, dass Verlustaversion eine der bevorzugten Anpassungen entsprechend der natürlichen Auslese ist.
Im Laufe der Evolution haben sich unsere neuronalen Schaltkreise detailliert daran angepasst, relative Veränderungen an Stimuli zu erkennen und sich nicht an absoluten Werten zu orientieren. Sie können dies anhand von drei Wassergläsern nachweisen: eines heiß, eines kalt und das andere mit einer Temperatur dazwischen.
Stecken Sie für etwa eine Minute Ihre linke Hand in das heiße Glas und die rechte in das kalte, dann stecken Sie beide Hände gleichzeitig in das mittlere. Obwohl beide Hände dieselbe absolute Temperatur erfahren, fühlt sich die linke Hand kälter und die rechte wärmer an, da jede der beiden Hände von unterschiedlichen Referenzpunkten kam.
Verfeinerung des Kelly-Kriteriums durch Anteile
Wenn unsere Neigung hin zur Verlustaversion die mit vollen Kelly-Einsätzen einhergehenden Volatilitätsrisiken so hoch erscheinen lässt, dass eine Investition außer Frage steht, liegt die logische Lösung darin, die Höhe der Kelly-Einsätze zu reduzieren. Aber wie genau wirkt sich die zu erwartende Profitabilität dieser Geldverwaltungsstrategie aus?
Unzählige Quellen legen nahe, dass Wettende durch das Halbieren des Kelly-Einsatzes die Volatilität bei der Guthabenentwicklung deutlich reduzieren und gleichzeitig die zu erwartenden Gewinne optimal ausschöpfen können. Wir wollen anhand einiger Simulationen ermitteln, ob dies stimmt.
Für dieselbe Serie von 250 1:1-Einsätzen, bei denen der Wettende einen Vorteil von 4 % hat (erwarteter Gewinn-Prozentwert von 52 %) zeigt das erste Diagramm unten ein Beispiel für eine Simulation.
Wir vergleichen vier Einsatzpläne: Kelly-Gesamteinsatz, Kelly-Hälfte, Kelly-Viertel und Kelly-Achtel. Wenn der Kelly-Gesamteinsatz 8 % beträgt, liegt die Kelly-Hälfte bei 4 %, das Viertel bei 2 % und das Achtel bei 1 %. Wenig überraschend ist die Volatilität bzw. Varianz bei der Entwicklung des Guthabens beim Kelly-Gesamteinsatz am höchsten um beim Kelly-Achtel am niedrigsten.
Das folgende Diagramm zeigt auch, dass bei einem erfolgreicheren Abschneiden als erwartet der Kelly-Gesamtbetrag relativ gesehen zu einem wesentlich besseren Ergebnis führt als die jeweiligen Anteile.
Entsprechend gilt aber auch, dass wenn wir kein Glück haben, der Kelly-Gesamteinsatz zu deutlich höheren Verlusten führt. Das dritte Diagramm unten zeigt eine Serie von 10 aufeinanderfolgenden Verlusten, die das Guthaben um 30 % reduzieren. Beim Kelly-Achtel wären dies nur 3,75 %. Wie bereits erwähnt, ist diese Art von Verlusten für die meisten Wettenden absolut inakzeptabel, auch wenn der möglichen Gewinn beim Kelly-Gesamtbetrag wesentlich höher ist.
Dies sind jedoch nur drei mögliche Verläufe für 1:1-Wetten bei einem Vorteil von 4 %. Wir müssen eine weitere Monte-Carlo-Simulation durchführen, um zu ermitteln, was wir im Schnitt erwarten können.
Ich habe eine weitere Monte-Carlo-Simulation mit 10.000 Durchläufen durchgeführt, in der ich die vier Pläne mit Kelly-Anteilen auf die Wahrscheinlichkeit überprüft habe, am Ende über weniger Guthaben zu verfügen als am Anfang. Sie werden sich vermutlich daran erinnern, dass wir festgestellt haben, dass in 14 % der Verläufe am Ende das Guthaben weniger als 60 % des Ausgangsbetrags betrug, wodurch Joe Petas Kritik an dieser Strategie untermauert wurde.
In dieser neuen Simulation wurde das Resultat innerhalb der Grenzen des Zufalls repliziert. Die volle Liste der Wahrscheinlichkeiten ist in der Tabelle unten zu sehen.
Während sich eine Reduktion des Kelly-Einsatzes nicht wesentlich auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, dass nach 250 1:1-Einsätzen kein Profit zu verzeichnen ist, schützt sie allerdings vor deutlich höheren Verlusten von 20 % und mehr.
Durch das Halbieren der Kelly-Einsätze halbiert sich auch die Wahrscheinlichkeit, mehr als 20 % des Guthabens zu verlieren. Eine erneute Halbierung reduziert die Gefahr nahezu auf null. Bei Verlusten von 40 % ist die Risikoreduktion sogar noch bedeutender. Aber wie wirkt sich das auf die erwartete Profitabilität aus?
Die folgende Tabelle zeigt Mittelwert und Median für das Guthaben nach 250 Einsätzen bei jeder der vier Strategien.
Guthaben nach 250 Einsätzen
Während der Mittelwert für den erwarteten Profit bei der Kelly-Hälfte deutlich niedriger ist als beim Kelly-Gesamtbetrag, ist der Median nur um etwa ein Viertel reduziert. Denken Sie daran, dass proportionale Einsatzpläne den Mittelwert für die erwartete Profitabilität aufgrund einiger weniger sehr hoher Schlussguthaben verzerren, der Median liefert hier wohl einen deutlich besseren Maßstab für die zu erwartenden Ergebnisse. Ein Median von 116 impliziert z. B., dass etwa 50 % der Schlussguthaben kleiner bzw. gleich 116 sind und dass etwa 50 % über 116 liegen. In diesem Fall scheint es so, als ob eine Risikominderung durch Halbierung des Kelly-Einsatzes (oder weitere Reduktion) durchaus lohnenswert ist.
Die letzte Tabelle zeigt die Resultate einer zweiten Monte-Carlo-Simulation, in der der Wettende einen Vorteil von 8 % hat (Gewinnwahrscheinlichkeit von 54 %). Die Schlussfolgerungen sind im Großen und Ganzen ähnlich: Die Verlustrisiken lassen sich durch Aufgabe eines nur geringen Anteils an der erwarteten (Median-)Profitabilität reduzieren.
Kelly-Anteil
Ist die Nutzung eines Anteils beim Kelly-Kriterium die beste Einsatzstrategie?
Kelly-Anteile scheinen Wettenden eine Lösung hinsichtlich der Volatilitätsrisiken im Zusammenhang mit dem Kelly-Gesamtbetrag zu liefern, ohne dabei zu viel des Vorteils zu kompromittieren, den die Kelly-Strategie gegenüber festen Einsätzen liefert. Für all jene, die hohe Verluste fürchten, ist dies hoffentlich eine gute Nachricht.
Wie immer liegt die deutlich größere Schwierigkeit jedoch darin, tatsächlich gegenüber den veröffentlichten Quoten im Vorteil zu sein. Dies zu glauben und es zu wissen, ist nicht dasselbe. Lassen Sie sich nicht von übermäßigem Selbstvertrauen diesbezüglich in die Irre führen.